Tuesday, May 17, 2022

Von Corona bis Ukraine - Das neue lineare Denken

Empfehlenswert!

"... Diese [preußische] „Bürokratie“, damals hochmodern, hat über die letzten 150 Jahre erheblich an Strahlkraft verloren: Bei unerwarteten Ereignissen gab es keine Zuständigkeiten, Innovationen wurden behindert, jeder hatte Angst, seine eng umgrenzten Kompetenzen zu überschreiten und für die Folgen zu haften. Statt vertikalem Top-down haben sich heute laterale Strukturen durchgesetzt, quer zu den Linien, projektbezogen, auf Flexibilität ausgerichtet. Die unerwartete „Störung“ wird zum Normalfall, Strukturen stehen nur bis zur nächsten Innovation, das Umgehen mit Unsicherheit (Ambiguität) gehört zur Grundkompetenz.

In dieser Situation kam „Corona“. Im Jahr 1992 war das Bundesgesundheitsamt in „Robert-Koch-Institut“ umbenannt worden, eine Hommage an den großen Forscher, aber auch ein Rückgriff, so muss man heute erkennen, auf die Strukturvorstellungen des 19. Jahrhunderts. ...
Eine Diskussion über zeitgemäßes Pandemie-Management fand nicht statt
Wir kennen die Antwort. 1150 Mitarbeiter, knapp die Hälfte davon Akademiker, blieben auf ihren Sesseln sitzen, sammelten Meldedaten, von denen alle Fachleute wussten, dass sie nichts taugten (außer den Meldeeifer widerzuspiegeln), veröffentlichten Appelle (und änderten sie nächtens), steigerten die Bedrohungsszenarien, statt sich kompetenter Krisenkommunikation zu bemüßigen, waren nicht in der Lage, eine Epidemie als komplexes System zu begreifen und entsprechend zu handeln. ...
sondern die erstaunliche Reaktion von Politik und Gesellschaft. Wir waren über Jahrzehnte darauf hingewiesen worden, dass das einfache Oben-Unten, das einfache Durchregieren, die Person als Rädchen nicht der Weisheit letzter Schluss sei. ... doch jetzt gaben wir uns mit reinen Top-down-Anweisungen zufrieden. Masken bei Windstärke 5 – kein Problem. Schulen monatelang schließen und Kinder zu Hause betreuen – kein Problem. Ausgangssperre (und sich zu Hause infizieren) – genauso wenig ein Problem. Die öffentliche Diskussion zum Thema zeitgemäßes Pandemie-Management, das sich an modernen Strukturvorstellungen orientiert und den Bürger als selbständig denkendes und handelndes Individuum wahrnimmt, eine solche Diskussion fand nicht statt. Statt Diskussion Vereinfachung: Täglich die RKI-Zahlen zur Kenntnis nehmen, einen Podcast aus der Charité hören, das reicht. Willkommen in der linearen Zufriedenheit. ..."

Von Corona bis Ukraine - Das neue lineare Denken | Cicero Online Während der Corona-Pandemie feierten Strukturvorstellungen aus dem 19. Jahrhundert ihre Wiederauferstehung: Statt auf den mündigen, selbstverantwortlichen Bürger zu setzen, galt es, lediglich Anweisungen zu befolgen. Kritische Gegenfragen wurden rhetorisch und ganz praktisch delegitimiert. Eine Ausschlussstrategie, die sich jetzt in Debatten über den Ukraine-Krieg fortsetzt.

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